Aspekte Festival 2018 – frozen gesture



Welche kulturellen Spartenschubladen haben wir im Kopf?
Wo ist der urbane, kulturelle Humus zu finden? Wieviel Bereitschaft
zeigt Publikum für musikalische Entwicklungsphasen und nicht allein für
das Ankommen in der Perfektion? Wo und wie lässt sich Experiment
überprüfen? Wann ist der Zeitpunkt gekommen aufzuführen?
Das sind viele Fragen, die Künstlern und uns Publikum durch den Kopf
gehen können und letztlich erst am Sonntag, den 29. April, dem letzten
Tag des Aspekte Festivals für Musik unserer Zeit, beantwortet werden
können.
Dass die oben gestellte Fragenliste Relevanz habt zeigt sich im
Konzept des Festivals und dieses Abschlussabends: Das „New Arts and
Music Ensembles Salzburg“, kurz NAMES genannt, arbeitet seit Gründung im
Jahr 2014 genreübergreifend. Performance, Tanz, Visual Arts, Literatur
und andere künstlerische Ausdrucksformen setzen neben der Musik ihre
gleichberechtigten Akzente.
Vergleichbar der eingefrorenen Geste (frozen gesture), die auch ganz
andere Aggregatszustände kennt: Dampf, Luft, Rauch und Wasser werden die
Sinne des Publikums nun mehrspurig und unterschiedlich gefordert. Der
Moment des Einfrierens ist kein dauerhafter, gerade weil ihm immer eine
Zustandsalternative innewohnt. Diesen Moment jedoch zu genießen, ihn
aber dann zum Auftauen zu bringen obliegt nicht nur den Komponisten und
Komponistinnen, Künstlern und Künstlerinnen sowie Interpreten, sondern
uns allen.
Kulturelle Entwicklung findet dort statt, wo es Freiräume gibt – geistige wie physische. Sie findet dort statt, wo die Dinge noch nicht vollständig dekliniert sind, wo Fragen bleiben und Untersuchungsfelder legitimiert sind. ‚Freiheit‘ ist das Stichwort und das kennt kein fortwährendes Eingefroren-Sein. Salzburg ist prädestiniert für kulturelle Humus-Arbeit, durch Ausbildungsmöglichkeiten, kulturelle Ausrichtung, vielseitige und mutige Veranstaltungen, die Suche nach dem Neuen unterstützend und natürlich durch Personen, die derlei Ideen, Vorstellungen und Visionen bereitstellen und umsetzen.
Die am schwersten zu beantwortende Frage ist die nach der
Bereitschaft des Publikums auch Experiment als Aufführungsform und
-inhalt zu tolerieren und letztlich auch genießen zu können. In einer
Welt, die auf Perfektion und finale Version getrimmt ist – und Fehler
und Scheitern selten verzeiht – ist es schwer Festival- und
Programmverantwortliche zu finden, die an dieser Stelle „querbürsten“
und sich der sich noch in der Entwicklung befindlichen Inspiration
hinzugeben. Aber wie und wo sonst kann handwerklich beherrschtes
Experiment überprüft werden, als vor Publikum. Ob die einzelnen
Kompositionen tragen, ob das genreübergreifende Konzept funktioniert und
ob Künstler/Künstlerinnen und Publikum gleichermaßen diesen Abend als
produktives, sinngebendes und genusswertiges Erlebnis definieren, zeigt
sich erst später.
Den richtigen Zeitpunkt für die experimentelle Aufführung zu finden,
obliegt schließlich den Künstler und Künstlerinnen und den Machern und
nicht dem Publikum.
Die zehn Musiker und Musikerinnen des Ensembles NAMES stellen Kompositionen von sechs jungen Komponisten und Komponistinnen vor. Allen Werken ist gemeinsam, dass sie elektronische und digitale Verfahren wie selbstverständlich einbinden.
Digitale Verfahren sind auch das Arbeitsmaterial der in Wien lebenden
Medienkünstlerin und Komponistin Conny Zenk. Sie schafft mit Hilfe
großer Licht- und Videoprojektionen eine eigene Atmosphäre, die zwar
rhythmisch-musikalisch an auditive Wahrnehmung und Sonorität geknüpft
ist, aber eigene künstlerische Wirkungsräume schafft. Sie entwickelt
keine Videoarbeiten im herkömmlichen Sinn, vielmehr haben diese eher den
Charakter von Dokumentationen, wenn man sie so losgelöst in den
digitalen Videonetzwerken sich anschaut, sondern ihnen wohnt ein
performativer Charakter inne. Es sind die Orte, die jeweiligen
architektonischen Gehäuse, die Besucher und deren Schatten, die
mitgedacht werden müssen. Lichtachsen und diffuse Farbräume entstehen.
Es gibt bei Conny Zenk nicht das eine projizierte Bild auf Leinwand,
sondern immer die Parallelität von Bild und Ereignis, von Momenten, die
sich zumeist in den Panoramaformaten, Raumsituationen oder Lichtstrahlen
parallel entwickeln. Schon lange arbeitet die Medienkünstlerin im
Improvisationsensemble mit der Wiener Komponistin, Sound-Künstlerin und
„Live-Elektronikerin“ Veronika Mayer zusammen, die an diesem
Festivalabend mit ihrem Neuen Werk „ThereAreNoClearBorderlines“
vertreten ist.
Manuela Meier, die in Boston ansässige Komponistin und Akkordeonistin
schrieb im Auftrag von Aspekte Salzburg eine neue Ensemble-Komposition
für Flöte, Klarinette, Percussion, Violine und Violoncello. Diese wird
als Weltpremiere uraufgeführt. Gespannt darf man sein, ob sie wie
bereits früher interdisziplinär arbeitet und auf Geräusche von Erdbeben
zurückgreift.
Forschung und unkonventionelles Experimentieren gehören auch zum
Repertoire von Tamara Friebel. Ihre Kompositionswerke finden sich im
Konzertsaal ebenso wie auf Laufstegen von Modenschauen oder im Biennale
von Venedig-Pavillon Australiens sowie im öffentlichen Raum. Die
vielseitige Künstlerin arbeitet genreübergreifend neben der Musik in den
Bereichen der (Licht-)Installationen, Performance, Lyrik und
Architektur und kreiert dadurch immer einen Mehrwert an Atmosphären.
Diese ganzheitlichen Ansätze verstehen sich als Teamwork auch mit
anderen Künstlern und Künstlerinnen.
Der aus Venedig stammende Musiker Mauro Lanza lehrt Komposition an der
Universität der Künste in Berlin. Vergleichbar mit Fausto Romanelli,
dessen Komposition „An Index of Metals“ zu Beginn des Festivals
aufgeführt wird hat auch Lanza am ‚Institut de Recherche et Coordination
Acoustique/Musique‘ (Ircam) in Paris studiert und sich mit
„Spektralmusik“ beschäftigt.
Seine häufig mit Ironie versehenen Kompositionen sind das Ergebnis einer
immer stärker werdenden Integration klassischer Instrumente mit
anderen, weniger konventionellen Klangquellen, beispielsweise
physikalische Modellbau-Synthese, Spielzeuginstrumente, Krachmacher,
verschiedene Exemplare von Fundstücken und maßgeschneiderte Maschinen
wie die selbstentwickelte „Regenmaschine“. Auch für ihn ist die
interdisziplinäre Arbeit wichtig, so entwickelte er mit dem
französischen Künstler Jean-Michel Othoniel eine visuelle
Sound-Installation für das Centre Pompidou in Paris.
Der älteste im Bunde ist Michael Paul Maierhof, Komponist und
Improvisator für Neue Musik, aus Fulda stammend und in Hamburg lebend.
Er beschäftigt sich mit Instrumenten, Objekten, Präparationen,
Applikationen, schwingenden Systemen, Motoren, Pausen und mit
Klanglosigkeit. Sein Forschungsgebiet: die Arbeit an einer nicht über
Tonhöhen organisierte Musik.
Den Abschluss bildet die Komposition von Marco Döttlinger, Mitglied im
Ensemble NAMES. Der österreichischere Komponist und Klangkünstler,
studierte Musiktheorie und Komposition sowie Computermusik in Salzburg,
Paris und Basel. „Die Hauptaspekte seiner künstlerischen Arbeit liegen
bei der Integration computergestützter Verfahren im Bereich
zeitgenössischer (Klang-)Kunst bzw. ‚Time Based Arts‘. Seine
Instrumentalkompositionen, Computermusik, elektro-akustische Musik,
Klanginstallationen thematisieren häufig ‚micro-zeitliche‘ Veränderungen
an der Grenze zwischen Stillstand und Bewegung“, heißt es auf der
Homepage des Mozarteums. Seine Komposition hat dem Abend seinen Namen
gegeben: „frozen gesture“.
Hamburg, 04.04.2018
Autor: Prof. Claus Friede (Hamburg)
https://www.sn.at/salzburg/kultur/aspekte-widmen-sich-musik-und-film-27107560